Von Menschenopfern bis zum Naturschutz
Gästeführerin Doris Müller entführt Besucher auf eine interessante Reise
Ith/Capellenhagen/Hajen (gök). „Berghoch werde ich ordentlich schnaufen, aber machen Sie sich keine Sorgen“, erklärt die Gästeführerin den fast 30 Teilnehmern an der Landsommer-Führung bei den Ithwiesen. Doris Müller aus Hajen bei Emmerthal ist schon seit langen Jahren als Gästeführerin im Weserbergland aktiv und weiß die Gäste mit zahlreichen Anekdoten und Fachwissen gut zu unterhalten. Gab es in der Rothesteinhöhle wirklich Menschenopfer? Diese Frage wollte Müller den Gästen auf der rund sieben Kilometer langen Tour beantworten. Doch vorher wurde zunächst die ehemalige Zivildienstschule auf dem Ith in Augenschein genommen, wo derzeit Lehrgänge für Teilnehmer am Freiwilligen Sozialen Jahr oder am Bundesfreiwilligendienst stattfinden.
Die Nutzung des Geländes entstand nach dem ersten Weltkrieg, wo der Motorflug zunächst verboten war und die Menschen dem Hobby des Segelfliegens auf den Ithwiesen nachgingen. Zu dieser Zeit bildeten sich die ersten Vereine und erstmals schwebten Segelflugzeuge über dem Ith, die dort schnell die hervorragenden Bedingungen des in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Ith ausnutzten. Mit Beginn des Dritten Reiches schenkte das Nationalsozialistische Fliegerkorps – kurz NSFK – den Vereinen das Schulungsflugzeug SG38. Damit sollten im Hinblick auf den Krieg schon möglichst viele Piloten herangezogen werden. Die Vereine wurden aber schnell gleichgeschaltet und die Reichssegelflugschule Ith auf den Ithwiesen gegründet, was zur Gemarkung Holzen gehört. Das NSFK baute anschließend viele Gebäude, wo die vielen Flieger ausgebildet wurden.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das Fliegen für die deutsche Bevölkerung wieder verboten, dieses Mal auch das Segelfliegen. Das Gelände wurde zunächst von einer Nachrichteneinheit der britischen Royal Air Force genutzt, ehe es zu einem Royal Air Force Rest Centre Scharfoldendorf umfunktioniert wurde, wo sich britische Soldaten erholen konnten. Das Verhältnis zu der deutschen Bevölkerung vor Ort war sehr gut und manchmal „vergaßen“ die Briten auf dem Flugfeld sogar die Winde und die Flugzeuge abends, so dass die Deutschen noch schnell eine Platzrunde drehen konnten. Ab Mitte der 50er Jahre durften dann auch die Deutschen wieder offiziell fliegen und sogar der britische Kommandeur stand ab und an Schmiere, wenn sich die Deutschen ein paar Ersatzteile für ihre Flugzeuge borgten. Nach dem Abzug der Briten nutzte die Bundeswehr das Gelände noch kurz als Sanitätsstützpunkt, ehe die Zivildienstschule auf dem Gelände einzog. Nach diesem Vorbild wurden dann deutschlandweit die Zivildienstschulen aus dem Boden gestampft. Über die Jahre kamen hier über 100 000 Zivildienstleistende zu Lehrgängen zusammen und nach dem Ende des Zivildienstes wird das Gelände mittlerweile für die Freiwilligendienste immer noch genutzt. Die zwischenzeitlich drohende Schließung des Areals konnte durch die örtliche Politik verhindert werden. 2013 sollte durch einen Investor wieder ein Hotel auf dem Gelände aufmachen, doch dazu ist es noch nicht gekommen. Geplant waren große Reitevents, wozu auch der Sportplatz an den Investor verkauft wurde, auf dem früher noch die Spielgemeinschaft Capellenhagen/Fölziehausen jahrelang ihre Fußballspiele ausrichtete.
Das 32,5 Hektar große Flugplatzgelände wird durch die Luftsportvereinigung Ithwiesen betrieben, die aus der Fusion von mehreren Vereinen entstand. Das gesamt Areal steht bis auf den Flugplatz unter Naturschutz. Für das Flugplatzgelände gab es einen Bebauungsplan, weshalb dieses Gelände mittlerweile einmalig mitten in einem Naturschutzgebiet mit Enzian-Pflanzen genutzt werden kann und eine wunderschöne Umgebung bietet. Von dieser Umgebung konnten sich die Wanderer mit Doris Müller auf dem anschließenden Weg durch den Ith über den Wilhelm-Raabe-Wanderweg zu der Rothesteinhöhle überzeugen. Auf dem Weg kam man unter anderem auch an der Bärenhöhle vorbei, die inzwischen auch gesichert ist. Der acht Meter tiefe Einstieg war in der Vergangenheit für viele Amateur-Höhlenforscher eine zu große Herausforderung. Nach dem Einstieg führt die Höhle noch 40 Meter in den Berg hinein. Insgesamt gibt es etwa 60 bekannte Höhlen im Ith, wovon die Rothesteinhöhle die größte und bekannteste Höhle darstellt. Etwas dahinter gibt es auch noch die Kinderhöhle, die ihren Namen von den dort gefundenen Kinderskeletten hat. Hier wurde die Höhle wohl als Bestattungsraum genutzt. In der ebenfalls vor Ort befindlichen Soldatenhöhle versteckten sich die Soldaten während des Siebenjährigen Krieges und in der Töpferhöhle lebte auch schon ein Töpfer.
Die Rothesteinhöhle hat ihren Namen von der wüst gewordenen Siedlung Rothe unterhalb des Ith. In der Tropfsteinhöhle wurden in der Vergangenheit mehrmals Feuer angezündet, weswegen der Tropfsteincharakter nicht mehr gut rüberkommt. Im Winter ist die Höhle gesperrt, da sie als Winterquartier für viele Fledermäuse dient. Die Frage nach Menschenopfern konnte Müller den neugierigen Wanderern hier relativ eindeutig erklären. „Zu 99 Prozent haben hier entsprechende Handlungen stattgefunden“, erklärte sie den Wanderern. Bereits im 19. Jahrhundert wurde hier die Möglichkeit von Opferhandlungen und Kannibalismus in der Höhle angenommen. Eine anthropologische Untersuchung der Knochenfunde im 20. Jahrhundert durch einen Paläopathologen erbrachte Spuren von Gewalteinwirkung an zwei Schädeln und deutliche Schnittspuren an einer menschlichen Rippe. Auch Kannibalismus wird nicht ausgeschlossen, da gefundene menschliche Knochen damals einer Hitzequelle ausgesetzt waren, um vermutlich an das Rückenmark zu kommen.
Die markanten Felsen im Ith werden schon seit Jahren viel von Kletterern genutzt. Normalerweise ist dies in einem Naturschutzgebiet schon fragwürdig, gestand Müller diesen Umstand ein. „Doch die Kletterer haben sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengefunden und gehen hier mit einem tollen Beispiel beim Umwelt- und Naturschutz voran“. Die Kletterer legen Wege an und pflegen diese auch. Dabei wird vor allem der für den Naturschutz sehr sensible Bereich unterhalb der Klippen und auf der Spitze weitestgehend gemieden. Gerade in diesen Bereichen entstehen die besonders interessanten Schattengewächse und anderen wichtigen Pflanzen. Gerade im Winter kommt es an den Felsen aber immer wieder zu Veränderungen. Wasser dringt in Spalten ein und sprengt bei Minustemperaturen Felsen geradezu auf. Müller hat auf ihren Wanderungen schon diverse Veränderungen wahrgenommen. Daher warnte sie bei der Landsommer-Wanderung auch eindringlich davor, die vorderen Kanten von Felsen zu betreten. „Fast jedes Jahr gibt es im Ith ein bis zwei Tote zu beklagen. Besonders die Wanderer sind oft unvorsichtig und bringen sich in gefährliche Situationen“, so Müller. An den Felsen sind aber nicht nur die Fledermäuse Zuhause. Auch seltene Tiere wie Wanderfalken oder der Luchs haben hier ihren Bereich zurückerobert. Der Wanderfalke ist viel scheuer als der Turmfalke und hat sich nach der Tötungsaktion im 18. Jahrhundert wieder gut in seinem Bestand erholt. Damals wurden aufgrund der Hungersnot nach dem Siebenjährigen Krieg vom Hannoverschen Königshaus Prämien für Krallenpaare von Greifvögeln ausgesetzt. 14 500 Krallenpaare wurden schließlich abgegeben, was den Wanderfalken fast ausrottete.
Am Schluss ihrer Wanderung zeigte sie den begeisterten Wanderern noch die berühmt Klippenklause auf dem Segelflugplatz, wo die Wanderer sich auch stärken konnten. Das ehemalige Flugzeugrestaurant Silbervogel ist seit Anfang des Jahrtausends nicht mehr auf seinem alten Platz zu finden, sondern wurde in Hannover als Restaurant neu aufgebaut.
Foto2859+2860: An dem Wanderparkplatz an den Ithwiesen war der Treffpunkt für die Wanderung
Foto2861: Ursprünglich sollte schon 2013 das Ith-Hotel wieder eröffnet werden
Foto2863: In diesen Gebäuden finden aktuell die Lehrgänge statt
Foto2864: Das Gebäude der Reichssegelflugschule wurde im Dritten Reich gebaut
Foto2865: Hier ist derzeit die Verwaltung untergebracht
Foto2866+2867: Die Briten haben später einige Häuser dazugebaut
Foto2869: Der Sportplatz sollte für Reitveranstaltungen genutzt werden
Foto2870: Hier können Gruppen auf Anfrage versorgt werden
Foto2872: Die Lage auf den Ithwiesen ist sehr idyllisch
Foto2873: Im Gänsemarsch ging es zunächst einen schmalen Weg entlang
Foto2875: Der Wanderweg führte mitten durch den Ith
Foto2876: Zwischendurch erklärte Doris Müller (Mitte) besondere Orte wie hier den Eingang zur Bärenhöhle
Foto2879: Die Bärenhöhle ist mittlerweile gesichert
Foto2880+2884: Zwischendurch waren immer wieder Felsformationen im Ith zu bewundern
Foto2882: Doris Müller nahm sich zwischendurch immer Zeit, auch Pflanzen zu erklären
Foto2889: Im Ith sind viele Kletterer unterwegs
Foto2892: Doris Müller am Eingang der Rothesteinhöhle
Foto2896: Von der Höhle ging es steil abwärts
Foto2898: Der Weg führte unterhalb der Höhlen vorbei
Foto2900: Den Kletterern wird genau mittels Schilder erklärt, was sie dürfen
Foto2902+2903: Doris Müller führte die Gruppe durch den Ith
Foto2905: Am Segelflugplatz herrschte reges Treiben
Foto2909+2913: Am Flugplatz können Segelflieger mit Winde oder per Motorflugzeug in die Luft gezogen werden
Foto2918: Die Aussicht von den Ithwiesen – hier auf Duingen – ist hervorragend
Foto2919: Doris Müller nahm sich immer wieder Zeit zum erklären
Foto2920: Ein Segelflieger wartet auf den Start
Foto2921: Das Gelände der ehemaligen Zivildienstschule aus Sicht des Flugplatzes
Foto2992: Nur noch ein Schild weist auf das ehemalige Flugzeugcafe hin, das jetzt in Hannover aufgebaut ist
Foto131609: Stefan Müller aus Weenzen hatte eine Stirnlampe dabei und so in der Höhle den Durchblick
Foto132225: Mit einem Seil konnte man in einen kleinen Nebengang in der Höhle weiterkommen
Foto132325+131624: Der Reihe nach gingen die Wanderer durch die Höhle
Foto132353: Die Höhle ist bis zu acht Meter hoch
Foto132725: Auch Stefan Müller aus Weenzen kam wieder wohlauf aus der Höhle
Foto132513: An der Wand in der Höhle konnten faszinierende Ablagerungen beobachtet werden