Ahnenforschung bringt Menschen zusammen
Hemmendorf/Marienau (gök). Zeit ihres Lebens schreibt die 1948 geborene Brigitte Günther schon und hat nun ihr bedeutendstes Werk “Euch ein neues Vaterland” in Hemmendorf zahlreichen Interessierten im Dorfgemeinschaftshaus nach Organisation der Kulturgemeinschaft Hemmendorf vorgestellt. Den kleinen Ort Hemmendorf hatte die pensionierte Lehrerin nicht ohne Grund ausgewählt. Die Hemmendorfer Familie Hoppe ist mit der Bayerin verwandt und hat ihre Vorfahren auch unter den Salzburger Protestanten gefunden, die ab 1731 aus dem Salzburger Land vertrieben wurden. Etwa 20 000 Menschen wurden vertrieben und erlebten dabei zum Teil großes Leid. Viele Familien wurden von ihren Kindern getrennt, da Kinder bis zwölf Jahre nicht vertrieben, sondern zum katholischen Glauben in katholischen Klöstern umerzogen wurden. Viele Menschen starben und mussten nur mit dem, was sie am Leib trugen, vor den Soldaten fliehen.
Der preußische König Friedrich Wilhelm I. bot den Protestanten in Ostpreußen neuen Lebensraum an, da dort die Pest die Bevölkerungszahlen stark minimiert hatte. In Gumbinnen – 1945 in Gussew umbenannt – kamen etwa 15 000 Salzburger an und ließen sich dort nieder. Die zwischen 1993 und 1995 wieder aufgebaute Salzburger Kirche und auch eine Gedenktafel erinnern dort im heutigen Russland an die Salzburger Protestanten. Auch heute noch bekennen sich in der russischen Stadt viele Menschen zu ihren Salzburger Vorfahren.
Die übrigen 5 000 Menschen starben entweder auf der langen Reise oder wurden vor allem als Handwerker in anderen Orten sesshaft. So geschah es etwa auch in Hemmendorf, wo der Urgroßvater von Brigitte Günther 1841 geboren wurde und bis heute noch Nachfahren leben. Im benachbarten Flecken Coppenbrügge wurde sogar die kleine Siedlung Salzburg oberhalb von Marienau durch die Salzburger gegründet, woran heute noch eine Gedenktafel erinnert. König Georg II. von Hannover ließ dort 1733 sechs Siedler-Häuser bauen.
Während ihrer eigenen Ahnenforschung begeisterte sich Günther für das Thema der Salzburger immer mehr und schrieb schließlich nach langer Recherche dafür auch das Buch, welches durch einen kleinen Verlag in Halle/Saale veröffentlicht wurde. “Ich liebe mein Buch und bin sehr dankbar, dass ich mit dem Verlag und einem jungen Lektor auch tolle Unterstützung hatte. Ich hätte dabei nie gedacht, dass mich das Thema mal so fesseln würde”, so Günther. Für die Recherche hat sie viele Orte besucht und dabei oft an ihre Vorfahren denken müssen. Am stärksten war das sicherlich bei ihrem Besuch in Ostpreußen, wo sie vor Freude auf dem Marktplatz von Gumbinnen (Gussew) 2011 hätte tanzen können. “Mein Körper hat ganz verrückt gespielt und ich habe mich dort sehr verbunden gefühlt”, so Günther. Durch ihre Ahnenforschung hat sie schon 1976 Verwandte in Finnland aufgetan, die ebenfalls von den Salzburgern abstammen. Auch in Lübeck berichteten neu gefundene Verwandte von ihrer besonderen Beziehung zu den Salzburgern. Zu dem evangelischen Diakon in Gumbinnen hat sich seit 2011 ein intensiver Kontakt entwickelt, den Günther auch finanziell unterstützt. Zusammen mit dem Salzburger Verein aus Bielefeld wurde auf ihre Initiative hin auch eine Gedenktafel in Gumbinnen enthüllt, die mittlerweile in Stadtführungen mit eingearbeitet wird und so das Andenken an die Salzburger Vertreibung weiterträgt.
Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Siegfried Dreher erzählte die Frau aus Sonthofen nun auch den rund 30 Besuchern bei ihrer Autorenlesung im Dorfgemeinschaftshaus von der Geschichte der Salzburger Vertriebenen und dem lokalen Bezug zu Hemmendorf. Aus ihrem Buch “Euch ein neues Vaterland” las sie einzelne Passagen vor, wobei ihr die Zuhörer dann gebannt an den Lippen hangen und sich in eine andere Zeit mitnehmen ließen. Von den wenigen Büchern, die Günther noch hat, konnte sie dann auch noch einige signiert in Hemmendorf lassen. So können die Hemmendorfer nun noch etwas mehr in ihre eigene Geschichte einsteigen, die die Salzburger sicherlich mit geprägt haben.
Foto1,5,9: Siegfried Dreher und Brigitte Günther waren in Hemmendorf auf den Spuren der Ahnen
Foto12,13: In der Siedlung Salzburg bei Marienau erinnert noch heute eine Gedenktafel an die Ansiedlung der Salzburger
Foto14,15: Die Siedlung Salzburg wurde von König Georg II. von Hannover gegründet