„Ich bin nicht behindert, ich werde nur verhindert!“
Daniel Heinrich begeistert Menschen mit seiner Musik
Alfeld/Munster (gök). Im Leinebergland ist Daniel Heinrich vor allem Gospelfreunden ein Begriff. Immer wieder tritt er mit dem Gospelchor Come Together aus Rheden in gefüllten Kirchen auf und begeistert die Menschen mit seiner Musik. Den Ton gibt dann aber seine Ehefrau Magdalena Jorgas an, die den Chor dirigiert. Daniel Heinrich begleitet den Chor etwa auf dem Piano und sorgt für den richtigen Takt.
Es hat aber nicht viel gefehlt und es wäre niemals dazu gekommen. Im Sommer 1968 wurde eine Amerikanerin auf den nur rund drei Pfund schweren und blinden Daniel Heinrich in einem taiwanesischen Waisenhaus aufmerksam, der damals noch keinen Namen hatte und laut den Angestellten in dem Waisenhaus auf seinen Tod wartete. Die Amerikanerin aber konnte das nicht zulassen und nahm das Kind ohne Gegenwehr einfach mit und übergab es schließlich Brunhilde Heinrich, die zusammen mit ihrem Mann Christian und der Familie für die Hildesheimer Blindenmission zu der Zeit in Taiwan war. Schnell hatte die Familie sich dann dafür entschieden, sich um das Kind zu kümmern und es in einem liebevollen Zuhause aufzuziehen. Aufgrund der behördlichen Bestimmungen wurde Shy Y-Ming – so sein taiwaneischer Name – formell für die Blindenschule und ihre Leiterin als Mutter angemeldet. Als sein Geburtsdatum wurde der 15. Juli festgelegt, wobei er dort schon ungefähr drei Wochen alt war. Aufgrund dieses Umstands nimmt es sich Daniel Heinrich noch heute heraus, den schönsten Tag für seine Geburtstagsfeier in den drei Wochen vor seinem offiziellen Geburtstag auszusuchen.
Die ersten dreieinhalb Jahre wuchs der blinde Daniel noch in seinem Geburtsland auf, während das Ehepaar Heinrich dort seiner Arbeit in der Blindenmission nachging. Zurück in Deutschland wohnte die Familie dann zunächst für zwei Jahre in Hildesheim, wo der aufgeweckte Junge dann auch den Kindergarten besuchte und der einzige Blinde unter lauter Sehenden war. Mit Beginn der Schulzeit besuchte er die Blindenschule in Hannover, wo er jeden Morgen mit dem Taxi hingebracht wurde. „Als ich etwa acht Jahre alt war, zogen wir dann nach Woltershausen bei Alfeld, wo mein Vater als Pastor eine Stelle bekam. In Woltershausen wurde ich dann morgens um 6 Uhr von Zuhause für den Schulweg abgeholt, wobei mir meine Fähigkeit sofort und überall schlafen zu können für den Schulweg sehr entgegen kam“, erinnert sich Daniel Heinrich an diese anstrengende Zeit zurück.
Nach der vierten Klasse bestand dann die Möglichkeit zum Wechsel zur einzigen Blinden-Oberschule in Deutschland nach Marburg. „Doch dafür hätte ich meinen Geigen- und Klavierunterricht aufgeben müssen, was ich partout nicht wollte. Meine Familie wollte zudem, dass ich auch weiterhin in der Familie aufwachse“, so Heinrich. Nach dem ersten Kontakt zur Schule konnten sich die Lehrer eine Beschulung des blinden Schülers vorstellen und nur der Schulrat hatte Bedenken. „Warum wollen Sie mich nicht nur zur Schule gehen lassen?“ war dann nicht die Frage, mit der der Schulrat von dem jungen Schüler gerechnet hatte. „Da hatte ich ihn dann, auch wenn das meinen Eltern wohl peinlich war“, erinnert sich Heinrich im Gespräch mit einem Lächeln an diese Reaktion zurück. Zunächst besuchte er dann die Orientierungsstufe in Lamspringe, ehe er mit Gymnasialempfehlung schließlich zum Andreanum nach Hildesheim wechselte. Bis zur 10. Klasse war die Beschulung kein großes Problem, doch danach sorgte die Angst der Lehrer vor der Durchführung von Prüfungen bei dem blinden Schüler für Probleme. Erst Dr. Peter Appelhans von der renommierten Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg konnte der Schule dann diese Ängste nehmen. Dieser hatte bereits sehr früh das Thema Inklusion angegangen und auch einen Verein zur Förderung sehgeschädigter Kinder und Jugendlicher ins Leben gerufen. In einem eigenen Raum in der Schule gelang Heinrich 1988 schließlich ein gutes Abitur, wodurch einem musikalischen Studium nichts mehr im Weg stand. Daniel Heinrich konnte schon vor seinem Studium bereits Orgel, Cembalo, Klavier und Geige spielen, wobei dann während dem Studium noch Posaune, Euphonium, Schlagzeug und Keyboard dazukam. Dadurch war er dann neben seinem Gesang musikalisch und auch stilistisch sehr breit aufgestellt. Verärgert ist er immer noch, dass ihm die A-Prüfung von der Hochschule verweigert wurde. „Man könnte meinen, dass man aus dem Schicksal von Thomas Quasthoff nichts gelernt hat“, so Heinrich immer noch sauer. Diesem Umstand trauert er aber nicht mehr groß nach, da große Stellen laut Heinrich eh oft eingespart wurden und dann auch viel Bürokratie mit sich bringen.
Um Arbeitgeber nicht gleich durch seine Behinderung zu verschrecken, hat er das in seinen Bewerbungen nicht erwähnt und erst bei der Übergabe des Lebenslaufes vor Ort offenbart. „So haben mögliche Arbeitgeber zuerst gesehen, dass ich autark arbeiten und man mir Aufgaben zutrauen kann. Das würde ich heute vermutlich immer noch so machen“, bedauert Heinrich, dass man auch heute noch Menschen oft den Spiegel vorhalten muss. Sein Lebensmotto lautet mittlerweile „Geht nicht gibt es nur dann, wenn ich sage, es geht nicht!“ „Manche Sehende sehen das aber nicht ein und ich bekomme Hilfe, auch wenn ich das nicht möchte. Ich bin nicht behindert, ich werde nur verhindert“, so Heinrich. Selbst Dinge, die man Blinden nicht zutraut, sind für Heinrich oft kein Thema. Bei einem Fallschirmsprung etwa hatte er genau die gleiche Überwindung sich fallen zu lassen, wie ein Sehender. „Ein Fallschirmsprung hat mit Gottvertrauen zu tun und der begleitet mich schon mein ganzes Leben“, erklärt Heinrich. In seinem Leben verlangt er von seinem Umfeld vor allem eine ehrliche Kommunikation. Verärgert reagiert er zum Beispiel auf irgendwelche Zeichen hinter seinem Rücken. Das war eine Regel in seinem Familienleben und das erwartet er auch von Mitarbeitern und Freunden.
Seit 1993 ist er als Kirchenmusiker in Munster in der Lüneburger Heide angestellt und hat dort auch eine neue Heimat gefunden. Dort war er schon 1970 bei einem Heimaturlaub seiner Familie zu Gast, als diese im Rahmen eines Vortrages dort einen Besuch abhielt und der zweijährige Daniel durch die dortige Kirche lief. Einer Frau aus der Kirchengemeinde begegnete er dann 23 Jahre später als Kirchenmusiker, wo sich der Kreis dann wieder schloss. In Munster wurde er dann auch Chorleiter von dem Chor AHAP, den er 2009 gründete. 2007 lernte er schließlich Magdalena Jorgas kennen, mit der er später zusammenkam. Die Hochzeit der beiden 2013 war dann ein so nie dagewesenes Spektakel, bei der schon am Nachmittag über 1000 Tassen Kaffee ausgeschenkt wurden und sogar in der benachbarten Militär-Kirche ein Konzert mit neun befreundeten Chören stattfand.
Durch seine Ehefrau kam er auch zur Chorarbeit bei „Come Together“ aus Rheden und „ThoMoRo“ aus Ronnenberg, wo er dann gerne seine Frau bei der Chorleitung mit entsprechender Begleitung etwa an Klavier oder Orgel unterstützt. Da seine Frau noch ein Haus in Weetzen hat, pendelt das Paar halbwöchentlich zwischen den beiden Wohnorten und kann so auch die Chöre trotz der großen Entfernungen betreuen. „Das ist dann manchmal etwas stressig, aber die Leidenschaft sorgt für die Stressresistenz“, so Heinrich.
Foto0339: „Geht nicht gibt es nur dann, wenn ich sage, es geht nicht!“ passt auch zum Fallschirmspringen
Foto2211+4920+5216: Daniel Heinrich und Magdalena Jorgas sorgen zusammen mit dem Gospelchor „Come Together“ für Stimmung
Foto5051: In die Konzerte baute er als Unterhaltung auch mal Quietsche-Ente „Maggie“ mit ein
Foto5193: Daniel Heinrich begleitet am Piano „Come Together“
Foto5323: Gudrun Bosman, Daniel Heinrich und Magdalena Jorgas bei einem Konzert in Hoyershausen 2019
Foto5493: Auch an der Orgel weiß Heinrich zu überzeugen
Foto9760: Das Spiel auf dem Euphonium hat er während seines Studiums gelernt
Foto5366: Mit nur drei Pfund Gewicht nahm Brunhilde Heinrich den kleinen Daniel in Empfang
Foto5367: Daniel Heinrich im Alter von einem Jahr
Foto5368: Familie Heinrich 1970 in Deutschland