Fehlende Kommunikation beim DRK Weserbergland

Über 70 gekündigte Pflegeverträge in Salzhemmendorf / DRK-Ortsverein will sich auflösen

Salzhemmendorf (gök). Es rumort bei vielen Pflegebedürftigen im Raum Salzhemmendorf. Erst wurde 54 Pflegebedürftigen zu Ende November und weiteren 20 zu Ende Dezember die Pflegeleistung vom DRK Weserbergland gekündigt. Das DRK hatte in den letzten Jahren einen großen Kundenstamm im Bereich der ambulanten Pflege. Diese ermöglicht vielen Senioren oder Pflegebedürftigen, dass sie überhaupt noch Zuhause leben können.

Entsprechend groß war die Befürchtung vieler Betroffener und Angehöriger, dass man eventuell aus der eigenen Wohnung in ein Pflegeheim ziehen muss und nicht mehr alleine zurechtkommt. „Wir haben aber alle mittlerweile kontaktiert und nach unserer Kenntnis ist niemand nicht versorgt“, erklärte der DRK-Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführer Thomas Müller bei der extra einberufenen Sitzung des Sozialausschusses in Salzhemmendorf.

Müller gab aber zu, dass das DRK Fehler in der Kommunikation gemacht hat und entschuldigte sich auch dafür. Grund für die Kündigungen war der akute Personalmangel. Innerhalb von zwei Monaten schrumpfte die Anzahl der Mitarbeiter von elf auf vier, wobei auf Rückfrage dass mehrheitlich in Krankheit und nicht in Kündigung begründet war. „Vor diesem Hintergrund waren die Pflegeverträge nicht umsetzbar und mussten daher gekündigt werden. Gemäß Vertrag betrug die Kündigungsfrist 14 Tage, wir haben mit drei Wochen aber eine längere Frist als im Vertrag vorgesehen gewählt“, so Müller weiter. Müller stellte auch klar, dass die Kündigungen nur wegen dem Personalmangel und nicht aus wirtschaftlicher Not- oder Schieflage beim DRK ausgesprochen wurden. Grundsätzlich ist die Personalsituation laut Müller überall angespannt, aber es wurde auch schon aus anderen Bereichen Personal in Salzhemmendorf eingesetzt. Durch verstärkte Werbemaßnahmen konnte in der Vergangenheit die Personalzahl zwar gehalten, aber nicht mehr erhöht werden. „Die Mitarbeiter sind am Limit und können nicht mehr“, erklärte Müller und zog mit den Kündigungen einen Schlussstrich.

Die genannten Kommunikationsfehler bei den Kündigungen versuchte das DRK dann mit drei Infoveranstaltungen in den Ortsvereinen sowie zwei Infoveranstaltungen für Mitarbeiter aufzufangen, die alle gut besucht waren. „Unsere Kunden, die politischen Gremien oder die Ärzteschaft hätten wir im Vorfeld aber besser informieren sollen. Das war nicht gut und nicht richtig. Wir sind generell in der Pflege aber in einer prekären Lage und bundesweit an einem Kipp-Punkt. Das Thema ist größer als das DRK“, gestand Müller mit Blick auf den bundesweiten Pflegenotstand ein. Bundesweit sind in den ersten drei Jahresquartalen 2023 über 500 Pflegeeinrichtungen oder Pflegedienste schon insolvent gegangen. Weiteres „Betriebsinterna“ mit Bezug auf die genaue Personalreduzierung oder den Umstand, warum andere Pflegedienste in der Region noch Kapazitäten haben, wollte Müller in der Sitzung nicht öffentlich erläutern.

Müller gab auch zu, dass er sich in Salzhemmendorf wie im Untersuchungsausschuss fühlte. Vorher hatte er noch überlegt, ob er sich der Situation überhaupt stellt. Der Geschäftsführer stellte aber auch klar, dass man bei den Kündigungen nicht zwischen DRK-Mitgliedern und sonstigen Betroffenen unterscheiden wollte und auch durfte. „Die knallharten Wettbewerbsbedingungen gelten für alle. Seit 2018 haben wir im Bereich Coppenbrügge/Salzhemmendorf aber 500 000 Euro Defizit eingefahren. Die Fahrtpauschalen sind nicht an das Land angepasst. Es ist halt auch ein Unterschied, ob man in der Stadt drei Kunden in einer Straße versorgt oder ob zehn Kilometer zwischen den einzelnen Kunden liegen“, so Müller. Er bemängelt, dass die Arbeit der verschiedenen Pflegedienste nicht von anderer Stelle koordiniert wird.

„Die ganze Entwicklung hat mich schockiert und ich hätte nicht gedacht, dass das DRK so reagiert. Betroffene, die sich teilweise über Jahrzehnte ehrenamtlich im DRK engagiert haben, wurden nicht an die Hand genommen oder ihnen geholfen. Mit Blick auf DRK-Grundsätze wie Menschlichkeit hat mich der Ablauf enttäuscht. Hier handelt es sich nicht um den Pflegedienst „xy“, sondern um das DRK. Es hat ja auch Gründe, wenn sich die Anzahl der Mitarbeiter so reduziert“, fand auch Salzhemmendorfs Gemeindebürgermeister Clemens Pommerening klare Worte zu den Vorkommnissen der letzten Wochen. Marita Schütte (CDU) bemängelte auch, dass es trotz der Personalsituation keinen Aufnahmestopp bei den Kunden gab. Einig waren sich die Ausschussmitglieder, dass vorgekommene Beleidigungen gegenüber DRK-Mitgliedern nicht gehen. „Bei drei Wochen Kündigungsfrist liegen die Emotionen aber auch frei. Eine Überlastung der Mitarbeiter zeichnet sich auch längere Zeit ab, wo man rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen muss“, bemängelte auch Michael Lang (CDU).

Für ein kleines Beben sorgten die Kündigungen auch in den DRK-Ortsvereinen im Flecken. So sind in den Vereinen schon einige Kündigungen von langjährigen Mitgliedern eingegangen. „Bei uns hat etwa ein Mitglied gekündigt, die schon über 60 Jahre das DRK als Mitglied unterstützt hat. Die sind alle maßlos enttäuscht über das Verhalten. Ich rechne auch noch mit mehr Kündigungen“, erklärt Oldendorfs Vorsitzende Veronik Hessing im Gespräch. In Ockensen wurde auch die Stimmung der Weihnachtsfeier durch die Entwicklungen getrübt. Hier haben sich die Mitglieder sogar entschlossen, den DRK-Ortsverein aufzulösen und werden das in den nächsten Wochen umsetzen.

„Rechtlich waren die Kündigungen wohl in Ordnung, aber für die Angehörigen und Betroffenen halt auch ein Problem“, so Karl-Heinz Grießner (SPD) in der Diskussion.  Grießner schlug schließlich vor, dass man über die Verwaltung das Gespräch mit dem Landkreis sucht. Ziel ist die Stärkung der Pflege im ländlichen Raum, wozu konkrete Gespräche geführt werden sollen.

Anwesende Einwohner in der Sitzung bemängelten einen erheblichen Vertrauensverlust bei langjährigen Mitgliedern. „Es ist einfach bedauerlich, dass erst bei Kritik reagiert wurde“, so Gudrun Treu in der Sitzung. Auch Petra Krause-Wloch bestätigte als Vorsitzende des örtlichen Sozialverbands, dass bei ihr viele Anfragen aufgelaufen sind.

Das DRK befindet sich laut Müller seit 2019 im Strategieprozess. „Wir müssen Standorte konzentrieren, um weiter funktionieren zu können. Hameln wird künftig mit Coppenbrügge und Salzhemmendorf sowie Hessisch Oldendorf mit Bad Münder zusammengefasst. Das Versorgungsgebiet soll aber nicht reduziert, sondern weiter im ganzen Landkreis angeboten werden“, so Müller abschließend. Einig waren sich alle im Ausschuss, dass die Bürokratie immer schlimmer wird und die Privatisierungen im Gesundheitsfaktor vor einigen Jahrzehnten ein großer Fehler waren.

 

Foto: Thomas Müller (links) musste im Ausschuss viel Kritik für das Verhalten des DRK einstecken