Traurige Jubiläen als Mahnmal
Zahlreiche Flugzeugabstürze in Region / Matthias Baars weiter für Landesdenkmalamt unterwegs
Ockensen/Lübbrechtsen (gök). Die Stadt Oschersleben im jetzigen Sachsen-Anhalt hatte aufgrund ihrer kriegswichtigen Flugzeugfertigung im zweiten Weltkrieg verstärkt unter Bombenangriffen der Alliierten zu leiden. Insgesamt sechs Luftangriffe wurden auf die Stadt geflogen, um die dortige Industrie zu zerstören. Der für die dortigen Menschen folgenreichste Angriff fand am 11. Januar 1944 statt, wo 59 Menschen in der Stadt ihr Leben bei den Angriffen ließen. Die gestorbenen Flugzeugbesatzungen der 36 abgeschossenen US-Bomber vom Typ Boeing B-17 sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. Um die Mittagszeit warfen 139 B-17 ihre tödliche Fracht über Oschersleben ab, ehe sie sich auf den gefährlichen Rückweg nach England machten. Einige der Flugzeuge vom 1st Bombardment Division der 8th Air Force schafften diesen Weg aber nicht mehr.
Über Heyersum und Ockensen etwa wurde jeweils ein US-Bomber nach Luftkämpfen abgeschossen. In Ockensen konnte sich die Mannschaft noch in Sicherheit bringen und sprang rechtzeitig ab. Involviert in den Abschuss war der deutsche Pilot Friedrich „Fritz“ Ungar vom Jagdgeschwader 54 „Grünherz“ mit seiner Messerschmitt Bf 109 G-5. Er bemerkte die einzelne B-17 und schoss ihr in den Motor. Ungar sah die zehnköpfige Mannschaft um den Piloten Billy F. Chason noch aussteigen und letzte abgeworfene Bomben, die bei der Domäne Eggersen zwischen Thüste und Salzhemmendorf explodierten. Am Waldrand von Ockensen kam es dann zu dem Absturz, wo aber niemand zu Schaden kam. Die amerikanische Besatzung kam dann in Kriegsgefangenschaft. In Heyersum hatte die Besatzung nicht so viel Glück, da sie von einem deutschen Jagdflugzeug FW 190 gerammt wurden. Nur ein Besatzungsmitglied überlebte und kam in Gefangenschaft, während die anderen neun bei dem Absturz starben und in Heyersum auf dem Friedhof beigesetzt wurden.
„Am 11. Januar 2024 gibt es nun jetzt den 80jährigen Jahrestag dieses traurigen Jubiläums. In der ganzen Region um die Flecken Salzhemmendorf und Duingen sind aber rund 20 Flugzeuge im zweiten Weltkrieg abgestürzt, wo es entsprechend viele traurige Jubiläen in dieser Zeit gibt. Viele Einwohner der Region haben immer wieder gesagt, dass der Krieg weit weg war. Er fand aber für alle offensichtlich vor der eigenen Tür statt“, so Matthias Baars. Gerade mit Blick auf die gegenwärtige Entwicklung in der Ukraine sollte man das nach seiner Meinung immer im Hinterkopf haben. Der Bäckermeister aus dem Külftal arbeitet ehrenamtlich in der Arbeitsgruppe Luftfahrtarchäologie. Die Gruppe erforscht und erfasst Flugzeugabsturzstellen aus dem zweiten Weltkrieg. Die Daten werden dann im ADAWEB – einer Datenbank für Archäologen – vom Niedersächsischen Landesdenkmalamt erfasst. Für Geschichte hat sich Baars schon immer interessiert und vor über 20 Jahren den Vorgänger des jetzigen örtlichen Heimatvereins gegründet. Später erforschte er in der Region auch Totentafeln, Glocken und schrieb auch die Chronik zum 1150jährigen Jubiläum von Lübbrechtsen. Zusammen mit anderen Luftfahrtarchäologen hat er schon Abstürze vom Steinhuder Meer bis hinter Hildesheim erforscht. Mittlerweile wird es aber immer schwieriger, solche Fälle zu lösen, da die Zeitzeugen vom zweiten Weltkrieg immer weniger werden. Aber noch immer gibt es manchmal Anfragen von Angehörigen, die nach Flugzeugbesatzungen suchen, welche als verschollen gelten.
Aus manchen Aufklärungsergebnissen haben sich auch schon gute Bekanntschaften für Baars entwickelt, so dass er manchmal noch Postkarten aus dem Ausland erhält. In seinem Ehrenamt hat Baars auch schon oft alte Weltkriegsmunition gefunden, welche dann nach Alarmierung über die Polizei vom Kampfmittelräumdienst gesichert und entsorgt werden konnte. „Viele Menschen suchen leider ohne Erlaubnis nach Gegenständen aus Abstürzen“, bedauert Baars. Nicht jeder darf mal abgesehen von den Eigentumsverhältnissen auf einem Acker nach Metallteilen suchen. Suchstellen müssen beim Niedersächsischen Landesdenkmalamt angemeldet werden und für seinen Metalldetektor hat Baars sogar einen Zertifizierungslehrgang absolviert. Auch einen Lehrgang beim Kampfmittelräumdienst hat Baars besucht, um so gefährliche Gegenstände schneller zu erkennen. Mittlerweile hat der Bäckermeister an über 100 Fällen mitgewirkt und so viele Schicksale aufklären können. Seine Erfahrungen hat Baars auch in das Buch Luftkrieg im Weserbergland von Detlef Creydt mit eingebracht und bereits einige Vorträge gehalten.
Foto2870+2872: Dank alter Luftaufnahmen kann Matthias Baars leichter Absturzstellen finden
Foto2875: Auch Bücher über Flugzeugabstürze helfen bei der Recherche
Foto2877+2879: Matthias Baars ist häufig in der Region wie hier in Ockensen unterwegs und klärt 80 Jahre zurückliegende Abstürze auf