80 Jahre nach der Befreiung der Region

Dramatischen Ereignisse in Coppenbrügge, Salzhemmendorf und Leinebergland Anfang April 1945

Salzhemmendorf/Duingen (gök). Am 5. April 1945 überschritten die US-amerikanischen Truppen unter dramatischen Umständen die Weser und begannen, die Region von den Nationalsozialisten zu befreien. Dabei gab es von amerikanischer Seite viele Tieffliegerangriffe in der Region hinter der Front bis Hildesheim durch Alliierte, wo etwa auf der Reichstraße 1 – der heutigen Bundesstraße 1 – einige hundert deutsche Militärfahrzeuge und auch zivile Fahrzeuge betroffen waren und oft in Brand geschossen wurden. Der sämtliche Verkehr zwischen Hameln und Elze kam dabei zum Erliegen. Der Jahrestag dieser Befreiung erinnert an die Zerstörung, den Widerstand und das Leid, das die Menschen in der Region damals erlebten. Der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom und weitere örtliche Historiker wie Matthias Baars aus Lübbrechtsen haben dazu alte Unterlagen bereitgestellt.

Am 5. April begann die entscheidende Offensive, als die 2. US-Panzerdivision von Groß Berkel aus über Hameln in die Region vorrückte. Die Tieffliegerangriffe verursachten Chaos und Zerstörung – eine Wehrmachtskolonne wurde vor Coppenbrügge bei Steinbrink überrascht. Die Soldaten suchten unter Brücken und in der Landschaft Deckung, während sogar ein Milchwagen, der die Coppenbrügger Molkerei belieferte, unter Feuer geriet. Die Pferde des Wagens wurden getroffen, und die Straße war von ausgelaufener Milch und dem Blut der Pferde gezeichnet. Die Zivilbevölkerung und die Wehrmacht waren gleichermaßen betroffen. Auch in anderen Orten wie Hohnsen und Salzhemmendorf kamen bei den Luftangriffen zahlreiche Menschen ums Leben, darunter auch Zwangsarbeiter. Bei Salzhemmendorf wurden rund 100 russische Kriegsgefangene unter Bewachung auf einer Straße geführt und gerieten in den Schussbereich der alliierten Jagdbomber. Zwei Russen und ein deutscher Wachtposten wurden dabei getötet.

In der Nähe der Burgruine Lauenstein griffen amerikanische Jagdbomber eine deutsche Flakstellung an. Der Unteroffizier Fritz Fitzner verlor bei diesem Angriff sein Leben – er ruht heute auf dem Spiegelberger Friedhof in Lauenstein. Am Folgetag soll nach unbestätigten Berichten auch ein 16jähriges Mädchen aufgrund von Splitterverletzungen verstorben sein. Zwei deutsche Soldaten fanden ebenfalls den Tod in den Angriffen bei Coppenbrügge und wurden später auf dem Friedhof Wehl in Hameln beigesetzt.

Am 6. April 1945 setzten die US-amerikanischen Truppen ihren Vormarsch fort, zunächst nach Bisperode. Durch Beschuss in der Nacht zuvor waren in Bisperode einige Brände entstanden. Aufgrund zurückgezogener deutscher Soldaten erfolgte die Besetzung von Bisperode unter ständigem Schießen aus Panzer-MG. Eine Verteidigung blieb aber aus, die deutschen Soldaten hatten sich abgesetzt. Andere amerikanische Einheiten, die die Nacht am Schecken vor Diedersen verbracht hatten, setzten sich in Richtung Coppenbrügge in Marsch. In Behrensen gab es keinen Widerstand, doch bei der Bahnüberführung an der Reichstraße 1 sollen einige Verteidiger auf die Fahrzeugkolonne geschossen haben. Coppenbrügge wurde unter fortdauerndem Schießen durch die Amerikaner eingenommen, während die Bewohner in den Kellern auf Ruhe warteten.

Nachdem auch Marienau ohne Widerstand passiert wurde, gelange der Voraustrupp aus mehreren amerikanischen Panzern nach Hemmendorf. Dort wurde der Trupp aus einer deutschen Flakstellung beschossen. Bei dem Gegenfeuer wurde auch ein Haus am Ortsrand von Hemmendorf zerstört. Bei späteren Hausdurchsuchungen in Oldendorf nahmen die US-Amerikaner auch eine als wertvoll angesehene Vereinsfahne der Schützengesellschaft Oldendorf mit. 15 Jahre später bemerkte ein deutscher Geschäftsmann in den USA eine komisch aussehende Tischdecke und nahm sie unbemerkt wieder mit nach Deutschland. Über den Hersteller in Hildesheim konnte sie so wieder nach Oldendorf gelangen. Benstorf, Salzhemmendorf und Mehle wurde am Nachmittag widerstandslos durch die Amerikaner befreit. In Mehle lagen frisch ernannte Offiziere in Quartier, die schwach bewaffnet zunächst Widerstand leisteten und nach wirkungslosen Schüssen auf die gepanzerten Fahrzeuge flüchteten. Bei den Kämpfen waren einige Häuser in Brand geschossen worden, die dann von der Bevölkerung gelöscht wurden. Elze wurde danach ohne Widerstand eingenommen.

Der 7. April 1945 brachte weitere Fortschritte für die alliierten Truppen. Durch den Vorstoß der 83. US-Infanterie-Division über Eschershausen und Halle und den Ith konnten auch die nördlich gelegenen Orte befreit werden. Ein Unbekannter hatte außerhalb von Capellenhagen am Ehrenmal eine weiße Fahne gehisst, wodurch weitere Kämpfe vermieden wurden. Über Wallensen und Capellenhagen drangen die US-Amerikaner dann weiter vor. Gegen Mittag wurde auch Duingen widerstandslos eingenommen, zwölf Panzer waren über die Wallenser Straße nach Duingen eingerückt.

Die Befreier kamen über Hohe Warte vorbei an der Destillationsanlage Derag (Deckname Ofen III und IV) nach Brunkensen. Kurz zuvor war dort eine amerikanische B17 abgestürzt, die im Bereich Bergen angeschossen wurde. Die Mannschaft war noch über Bergen ausgestiegen und kam in Gefangenschaft. Das Flugzeug flog alleine bis nach Brunkensen, wo es abstürzte. Viele Teile verteilten sich im Dorf, eine Tragfläche mit Kraftstoff stürzte in den Hof eines Bauernhofes, die andere Tragfläche zerstörte das Dach einer Scheune im Ort. Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt. Über Marienhagen kamen Panzereinheiten, die an der gesamten Straße nach Eime – der heutigen B240 – standen. Die Ortschaften links und rechts der Straße wurden durchsucht und Soldaten säumten die Straßen. „Meine Mutter saß in Lübbrechtsen mit Ihren Angehörigen im Keller und sah die Soldaten durch den Ort gehen. Dabei sah sie das erste Mal einen farbigen Menschen“, berichtet Matthias Baars aus Lübbrechtsen aus den Erzählungen seiner Mutter. Gegenwehr der deutschen Einwohner gab es auch in diesem Teil der Region nicht mehr.

Einige deutsche Piloten vom Fliegerhorst Salzwedel versuchten mit Ihren FW 190 den amerikanischen Konvoi durch Beschuss zu stoppen. Es gab Gegenwehr der Amerikaner, die daraufhin ihre Jäger anforderten. Die FW 190 wurden vom Boden und aus der Luft beschossen. Der damalige Pilot Reinhart Kleinstück stürzte mit seiner Maschine nördlich von Deilmissen an der Straße nach Esbeck/Dunsen ab. Er wurde auf dem Friedhof im Ort bestattet. Seine Schwester lies bis vor kurzem das Kriegsgrab von ihrem Bruder würdevoll pflegen. Eine weitere FW 190 wurde abgeschossen und stürzte bei Deinsen in den Külf. Über den Verbleib dieses Piloten ist nichts bekannt. Auch in Gronau kam zu einem Absturz einer FW 190, der Pilot konnte aussteigen und landete mit dem Fallschirm bei Banteln. Das Flugzeug stürzte in den Schuppen der Papierfabrik. Eine weitere Maschine stürzte auf dem Flug Richtung Hildesheim ab.

In Wallenstedt standen die Kinder an der Mauer am Ortsrand und sahen die amerikanischen Truppen einmarschieren. Ein Junge hob die rechte Hand und grüßte, wie es Ihm beigebracht wurde. Ein amerikanischer Soldat ging zu Ihm, gab Ihm ein Stück Schokolade und sagte, dass er so jetzt nicht mehr zu grüßen braucht.

Der 80. Jahrestag der Befreiung ruft uns heute nicht nur die dramatischen Erlebnisse dieser Tage ins Gedächtnis, sondern auch die tiefen Wunden, die der Zweite Weltkrieg der Region und der ganzen Welt zugefügt hat. Überall wurden Denkmäler für die Opfer des Krieges errichtet und noch heute erinnern die Geschichten sowie die Gedenkstätten an die Opfer und die helfende Hand der alliierten Soldaten, die die Region vom nationalsozialistischen Terror befreiten.

Anfang April 1945 war ein Wendepunkt für die Region um Coppenbrügge, Salzhemmendorf und das Leinebergland. Die Befreiung brachte nicht nur das Ende eines dunklen Kapitels, sondern auch die Hoffnung auf einen Neubeginn. Doch die Erlebnisse dieser Tage – die Luftangriffe, die Kämpfe und das Leid – sind teilweise noch immer lebendig in der Erinnerung der Menschen und in den Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Der 80. Jahrestag ist eine Gelegenheit, innezuhalten, zu erinnern und allen Opfern dieses Krieges zu gedenken.

BU: Das Grab von Reinhart Kleinstück wurde bis zuletzt in Deilmissen gepflegt. Der deutsche Pilot von einem Tiefflieger stürzte nördlich von Deilmissen am 7. April 1945 ab.