Wenn der Streit am Gartenzaun endet – ein Ehrenamt der leisen Töne
Andreas Gelbrecht und Bernd Sassenberg als Schiedsmänner von Duingen aktiv
Duingen (gök). Ein überhängender Ast, ein beleidigendes Wort beim Fußballspiel oder Kaninchenstreu, das über den Zaun geschüttet wird – in der Welt der Schiedsmänner sind es oft die kleinen Dinge, die den großen Ärger machen. In Duingen kümmern sich Andreas Gelbrecht und Bernd Sassenberg seit Jahren darum, dass solche Konflikte nicht vor Gericht enden – sondern am besten gar nicht erst eskalieren. Ihre Arbeit steht beispielhaft für eine wichtige, oft wenig beachtete Institution der außergerichtlichen Streitbeilegung in Niedersachsen.
Andreas Gelbrecht ist seit nunmehr zehn Jahren Schiedsmann im Flecken Duingen. Angefangen hatte alles eher unspektakulär. Als Ratsmitglied wurde er gefragt, ob er nicht stellvertretender Schiedsmann werden wolle. „Man sagte mir damals: Du hast da nichts zu tun“, erinnert sich Gelbrecht schmunzelnd, der zunächst als Stellvertreter auch über Jahre nichts zu tun hatte. Doch als der damalige Schiedsmann Klaus Maidorn aufhörte, wurde aus dem Ehrenamt plötzlich echte Arbeit und eine Berufung. Inzwischen hat sich Gelbrecht tief in die Materie eingearbeitet, kennt die Gesetzeslage, die Verfahren und vor allem die Menschen.
Seit rund sieben Jahren wird er von Bernd Sassenberg als stellvertretendem Schiedsmann unterstützt. Gemeinsam bilden sie ein eingespieltes Team: Während Gelbrecht seine Stärken in Formalien und Struktur hat, liegt Sassenberg die Vermittlung besonders. „Wir ergänzen uns prima“, sagt Gelbrecht. „Nicht überlastet, aber engagiert“ sei die passende Beschreibung für ihre Arbeit. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt eindeutig bei den Nachbarschaftsstreitigkeiten. Bäume, Hecken, Sträucher, die über Zäune wachsen oder Schatten werfen, sind fast schon Klassiker. Oft kommen die Beteiligten mit kleinen Problemen – die sich dann als hochemotional entpuppen. Ein typischer Fall: Ein Hausanbau, wo Regenwasser plötzlich das Nachbargrundstück in eine Matschfläche verwandelt. Doch es geht nicht nur um Pflanzen oder Wasser. Gelbrecht erinnert sich an einen Fall, bei dem ein Zuschauer beim Fußballspiel einen anderen beleidigt hatte. „Die Beleidigung war wohl flapsig gemeint, kam aber nicht richtig an“, sagt er. Die Lösung: Eine Spende in Höhe von 50 Euro an den Kindergarten – schriftlich festgehalten und zunächst schließlich akzeptiert, ehe dann die Schlichtung doch verworfen wurde. Manchmal führen die Gespräche auch zu unerwarteten Wendungen. So etwa bei einem Streit, bei dem regelmäßig Kaninchenstreu über den Zaun geworfen wurde. Am Ende verschenkte der eine Nachbar das Grundstück an den anderen. Ein Paradebeispiel für eine gütliche Einigung.
Der Weg zur Schlichtung ist formal geregelt: Ein Antrag wird gestellt, der Schiedsmann prüft die Zuständigkeit – nicht jeder Fall kann bearbeitet werden. Geht es etwa um ein kommunales Grundstück oder einen Gewerbebetrieb, müssen die Beteiligten andere Wege gehen. Ist der Fall jedoch geeignet, lädt der Schiedsmann zu einer Verhandlung – meist auf neutrales Gebiet etwa ins Rathaus oder auch mal ins barrierefreie Jugendzentrum. Das Ziel: eine Einigung, die beide Seiten mittragen können. Dabei gilt, dass es keinen Sieger und keinen Besiegten gibt. Die Schiedsmänner sind frei in der Gestaltung der Einigung – sie muss lediglich rechtlich zulässig sein. Wird ein Vergleich geschlossen, ist dieser 30 Jahre lang bindend und kann – wie ein Gerichtsurteil – sogar vollstreckt werden.
Ein Beispiel: Ein Baumschnitt auf drei Meter Höhe wird vereinbart. Sollte die Einhaltung scheitern, kann ein Gerichtsvollzieher sogar ein Gartenbauunternehmen mit der Umsetzung beauftragen. „So weit kommt es aber selten. Zwei Drittel unserer Verfahren enden mit einer Einigung“, sagt Sassenberg. Die Stärke des Schlichtungsverfahrens liegt im persönlichen Kontakt. Viele Konflikte entstehen durch mangelnde Kommunikation. „Die Leute reden nicht mehr miteinander“, sagt Gelbrecht. Und genau da setzen er und Sassenberg an. In vielen Fällen reicht schon das moderierte Gespräch, um Verständnis zu schaffen. „Es ist faszinierend, wie sich manche Menschen verändern, wenn man ihnen einfach zuhört“, sagt Sassenberg. Auch der gesellschaftliche Wert ist hoch: Die Schiedsleute entlasten die Justiz, fördern die Streitkultur und sorgen dafür, dass man sich auch nach einem Konflikt noch in die Augen schauen kann. Natürlich gibt es auch Grenzen. Nicht jede Einigung ist möglich, manche Fälle enden mit einer sogenannten Erfolglosigkeitsbescheinigung. Diese benötigen die Beteiligten, um in Niedersachsen überhaupt vor Gericht ziehen zu dürfen – etwa bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. Erst wenn der Versuch der Schlichtung scheitert, ist der Klageweg frei.
Die Arbeit ist ehrenamtlich, der Aufwand jedoch nicht gering. Gelbrecht spricht offen über die Bürokratie, die ihn manchmal frustriert. „Es ist schon enorm, was man da alles erledigen muss – von der Postzustellungsurkunde bis zu den Protokollen.“ Dennoch überwiegt die Zufriedenheit. „Wenn man sieht, dass man etwas bewegen kann, macht das alles Sinn“, sagt er. Die Kosten für ein Verfahren sind niedrig. Der Antrag kostet im Vorschuss 50 Euro, bei Einigung fallen davon 25 Euro an, bei Nichteinigung nur 15 Euro. Selten überschreiten die Gesamtkosten mit Gebühren 50 Euro – ein Bruchteil dessen, was ein Gerichtsverfahren verschlingen würde.
Gelbrecht und Sassenberg zeigen eindrucksvoll, wie wichtig die Arbeit der Schiedsmänner für das gesellschaftliche Miteinander ist. In einer Zeit, in der viele Konflikte schnell eskalieren, leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Deeskalation – oft im Verborgenen, immer mit viel Fingerspitzengefühl. „Manchmal fragt man sich schon, warum man sich das antut“, sagt Sassenberg – und lacht. „Aber wenn man dann sieht, dass zwei Menschen, die sich vorher spinnefeind waren, am Ende einen Weg finden – dann weiß man wieder, warum man es macht.“
Foto1251: Andreas Gelbrecht und Bernd Sassenberg schlichten im Flecken Duingen
Foto1253+1256: Ein Baum, der über den Nachbarzaun wächst, kann für Ärger sorgen – eine Schlichtung ist angebracht