Eier, Ehre und ein Ei am Fuße
Satirischer Prozess begeistert Marienau
Marienau (gök). Was passiert, wenn man einem traditionsbewussten Männerverein mit viel Humor, einem gesunden Maß an Selbstironie und großer Liebe zum Ei eine Bühne bietet? Man erlebt einen Sommernachmittag voller Lacher, Spott und Eierlikör, wie ihn Marienau so schnell nicht vergessen wird. Rund 100 Zuschauer strömten am 5. Juli zur Linde im Ortszentrum, um einer Gerichtsverhandlung der besonderen Art beizuwohnen: Der „Verein zur Pflege der Eierbrat-Kultur von 1996 e.V.“ hatte zum Prozess geladen und der hatte es in sich.
Ein „polnischer Abgang“ mit Folgen
Angeklagt war kein Geringerer als Vereinsmitglied Andreas Teschner, dem ein „polnischer Abgang“ beim letzten Eierbrat-Treffen vorgeworfen wurde. Zwischen 20 und 20.30 Uhr soll er sich heimlich und ohne Abschied aus dem Kreis der „Eier“ entfernt haben – ein schwerwiegender Verstoß gegen die heilig gehaltenen Statuten des Vereins. Gemeindebürgermeister Thomas Küllig übernahm die Rolle des Richters mit sichtlicher Freude an der Inszenierung. In seiner Eröffnung konstatierte er trocken, der Angeklagte sei „trotz seines erschreckenden Allgemeinzustandes“ erschienen – das Publikum johlte.
Für die Verteidigung hatte sich Teschner Katja Loges an seine Seite geholt – ein Glücksgriff. Mit satirischer Ernsthaftigkeit und scharfer Zunge trug sie ihre Argumente vor und bezeichnete sich selbst augenzwinkernd als „die einzige, die das hier ernstnimmt“. Ihre Strategie: Zweifel säen an der Glaubwürdigkeit der Zeugen, vor allem an „Ei“ Hagen, der Teschner als verschwunden meldete. „Wie im Hühnerstall: Fehlt ein Huhn, herrscht Schockstarre“, hatte dieser gesagt – ein Bild, das ebenso amüsierte wie die Verteidigung, die dem Zeugen kurzerhand einen Filmriss unterstellte. Doch auch die Staatsanwaltschaft – vertreten durch Nils Kunze, den einzigen echten Juristen im Kreise – schlug scharf zurück. Kunze sprach von einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ beim Ober-Ei Dirk Stoffregen aufgrund des vermissten Mitglieds und forderte drei Jahre Hausarrest mit anschließender Sicherungsverwahrung – sowie eine dreijährige Teilnahme am Eierbraten nur auf Bewährung.
Skurrile Zeugen, schräge Beweise
Neben dem sichtlich angegriffenen „Ober-Ei“ Dirk, der schilderte, wie er auf allen vieren durch Hecken und über Hauptstraßen kroch, um das verlorene Ei zu finden, trat auch der Arbeitgeber des Angeklagten, Eckhard Loges, in den Zeugenstand. Er attestierte Teschner „pflichtbewusstes Trinken“ und lobte ihn als Vorzeigemitarbeiter, auch wenn „die Luft raus“ sei – zumindest in der Beziehung zur Verteidigerin, mit der er in einem eheähnlichen Verhältnis lebt. Sachverständiger „Biergourmet Sebastian“ entkräftete indes das Argument einer möglichen Alkoholvernebelung. „Man kann von einem Getränk, das zu 90 Prozent aus Wasser besteht, nicht betrunken werden“, so seine Einschätzung. Die Verteidigung konterte mit einem beeindruckend blütenweißen Beweisstück: Teschner’s weiße Weste.
Nach hitzigen Plädoyers kam es zum Urteil, das Richter Küllig „im Namen des Volkes und der Eier“ verkündete. Drei Jahre „Ei am Fuße“ lautete die Strafe, zusätzlich auch die Spende eines Bieres an jedes Vereinsmitglied. Außerdem solle der Angeklagte die Gerichtskosten übernehmen und Eierlikör zur allgemeinen Entschädigung bereitstellen. „Der polnische Abgang war nicht nachzuvollziehen, aber angesichts des freundlichen Verhaltens sehen wir von einem Ausschluss ab“, so das salomonische Fazit.
Während Eierlikör zwischendurch immer die Runde machte, Bier zur Hopfenpause gereicht wurde und Gelächter die Linde erschütterte, zeigte sich, wie tief der Spaß, aber auch der Zusammenhalt in diesem kleinen, eingeschworenen Verein wurzelt. Der Vorsitzende Dirk Stoffregen freute sich über das große Interesse: „Mit einem Ansturm an Neugierigen hatten wir gerechnet – aber so viele? Das ist ei-nzigartig!“ Und wer denkt, dass es sich hier nur um einen schlichten Männerclub handelt, verkennt den kulturellen Wert dieser skurrilen Truppe. Seit 1996 braten sie einmal im Jahr Eier – ohne Ketchup, mit Bier und ohne Handys. 2026 feiert der Verein sein 30jähriges Bestehen. Das Jubiläum wird dann aber wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefeiert.
Foto5688: Zur Einstimmung auf dem Prozess gönnen sich die „Eier“ erstmal einen Eierlikör
Foto5691: „Ober-Ei“ Dirk Stoffregen bei der Begrüßung
Foto5693: Rund 100 Zuschauer waren zur Gerichtsverhandlung erschienen
Foto5697: Stilecht wurde unter der Linde in Marienau die Gerichtsverhandlung abgehalten
Foto5701: Verteidigerin Katja Loges nahm stilecht mit einer englischen Perücke „Ei“ Hagen im Zeugenstand buchstäblich auseinander
Foto5705: Zeuge Eckhard Loges erklärte, dass der Angeklagte immer sehr zuverlässig ist
Foto5716: Verteidigerin Katja Loges hilft dem Angeklagten in seine blütenweiße Weste
Foto5725: Standing Ovations gab es für die überzeugende Verteidigung von Katja Loges
Foto5745: Der Angeklagte muss bei den nächsten drei Treffen ein Ei am Fuße tragen