Kinder und Auto-Verkehr – Damals war alles anders
Schon früher eine zuweilen gefährliche Begegnung / Aus dem Duinger Archiv
Duingen. Wenn nach den Sommerferien die Schulzeit wieder beginnt und insbesondere die ABC-Schützen eingeschult werden, wird allerorten auf die Gefahren im Straßenverkehr hingewiesen und um besondere Rücksichtnahme auf die Jüngsten gebeten. Daß auch schon vor Jahrzehnten diesbezüglich ein Gefahrenpotential bestand, wenn auch, wie aus dem Nachfolgenden ersichtlich, aus anderen Gründen, läßt sich einem Exemplar aus der ehemaligen Schule in Rott stammenden und nunmehr im Flecken- und Ratsarchiv Duingen verwahrten „Amtlichen Schulblatt“ entnehmen. Dieses Mitteilungsblatt stellt nicht nur in den Kriegs-Jahrgängen eine wahre Fundgrube dar, zumal die Anordnungen und Bekanntmachungen weit über bloße Schulangelegenheiten hinaus gehen und so auch die gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Zustände in der jeweiligen Zeit widerspiegeln.
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Amtliches Schulblattfür denRegierungsbezirk Hildesheim________________________________________________
No. 17. Hildesheim, 1. September 1914 11. Jahrg.____________________________________________________________________
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2. Anweisung, die Kinder von jeder Störung des für die Kriegsführung nötigen und wichtigen Automobilverkehrs zurückzuhalten.
M.<inisterium> d.<es> I.<nneren> Berlin, den 24. August 1914
Für die Kriegführung ist es von großer Wichtigkeit, daß der Automobilverkehr, worauf durch Erlasse und durch die Presse wiederholt nachdrücklich hingewiesen worden ist, ungehindert vonstatten geht. Wie mir der Herr Kommandeur des Kaiserlichen Freiwilligen Automobilkorps mitteilt, erkennen die beteiligten Mitglieder des Korps zwar an, daß die Polizeiorgane bemüht sind, den Wagenverkehr möglichst günstig zu regeln, die Kraft der an sich geringen Polizeikräfte versage aber manchmal und vor allem gegenüber den Kindern. Nach den Bekundungen der Automobilisten suchen die Kinder wie in früheren automobilfeindlichen Zeiten, gleichgültig ob die Insassen der Wagen Offiziere oder Zivilpersonen sind, die Fahrer zu belästigen. Fast in jedem Dorfe stellten sich die Kinder mitten in den Weg, sprängen im letzten Augenblick zur Seite und beirrten so den Fahrer. Dieser könne natürlich nicht vorher wissen, nach welcher Seite die Kinder forteilen, ebensowenig wie er berechnen könne, ob die absichtlich über die Straße laufenden Kinder die andere Seite noch rechtzeitig erreichen oder im Laufe stürzen würden. Der Wagen sei daher genötigt abzustoppen, wodurch Zeit verloren gehe, der Wagen in die Gefahr des Schleuderns gerate und unnütz Benzin, Gummi und nicht zuletzt Nervenkraft, deren sparsamen Verbrauch in der jetzigen Zeit von größter Bedeutung ist, verschwendet werde. Andere Kinder suchten, wie des weiteren erwähnt wird, durch Haltezeichen, falsche Richtungsweisung und durch sichtbar gemachte Absicht, mit Gegenständen zu werfen, die Automobilisten irre zu führen; wieder andere schrien beim Vorbeifahren so laut, daß der Fahrer, um nach dem Grunde zu forschen, denWagen zum Halten bringe. Daß durch Steinwürfe nach Autos schon sehr viel Unheil angerichtet worden ist, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden; aber auch das Zuwerfen oder Bewerfen mit Blumen und Obst kann gleiche schwere Folgen haben. Das geschilderte Verhalten der Kinder birgt nicht allein erhebliche Gefahren für ihr eigenes Leben und die Gesundheit der Kraftwagenfahrer, es gefährdet insbesondere auch in hohem Maße die pflichtmäßige Durchführung der militärischen Aufträge, wodurch der Heeresleitung unter Umständen schwere Nachteile zugefügt werden können. Solchem Ärgernisse durch Kinder muß daher mit allen gebotenen Mitteln gesteuert werden . Da die Polizeiorgane namentlich auf dem Lande nicht rechtzeitig und überall solche Unarten verhindern können, ersuchen wir Eure Hochgeboren (Hochwohlgeboren) ergebenst, die Geistlichen und Lehrer s c h l e u n i g s t anzuweisen, die Kinder vor einem derartigen schädlichen und gefährlichen Treiben nachdrücklich zu warnen und im Übertretungsfalle unnachsichtlich exemplarische Schulstrafen gegen die Missetäter zu verhängen. Werden die Polizeiorgane in dieser Weise von den zur Erziehung der Kinder berufenen Kreisen wirksam unterstützt, so ist zu hoffen, daß die Klagen der Kraftwagenfahrer verstummen werden und der schwere Dienst der Automobilisten für Heer und Vaterland sich allerorten gefahrlos und schnell abwickeln wird.
D e r M i n i s t e rd e r g e i s t l i c h e n u. U n t e r i c h t s – D e r M i n i s t e r d e s I n n e r n . A n g e l e g e n h e i t e n . v. L o e b e l l v o n T r o t t z u S o l z
An die sämtlichen Herren Regierungspräsidenten.
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Daß dieser Krieg auch schon zu diesem Zeitpunkt keinesfalls so betulich war, wie die obige „Anweisung“ den Anschein erweckt, führt auch eben dieses Amtliche Schulblatt vor Augen. In Nummer 21 auf Seite 186 ist zu lesen unter der Abbildung eines Eisernen Kreuzes und der Überschrift: Im Kampf für das Vaterland gefallen:
Ev.<angelischer> L<ehrer> Friedrich Wittrock aus Duingen
Lapidar heißt es 4 Zeilen weiter (es waren diesmal „nur“ 3 gefallene Lehrer auf-gelistet) :III. E r l e d i g t e S c h u l s t e l l e n .
Ev. Duingen, Insp.<ektion> Oldendorf (in Wallensen ) L-Stelle.
Dazu ist anzumerken, daß der Lehrer an der Duinger Volksschule (richtig:) Wilhelm Wittrock am 26. September 1914 in Belgien gefallen ist, übrigens am selben Tag wie der Dichter und Kriegsfreiwillige Hermann Löns. Zum Tod von Wittrock ist in der Duinger Schulchronik handschriftlich vermerkt: Herr Lehrer W. sollte schon im September mit dem Blute beweisen, daß er für das, was er gelehrt hat, auch zu sterben wußte. Ehre seinem Andenken! Dem Beispiel mehrerer Schulorte in anderen Regierungsbezirken folgend regte die Königliche Regierung in Hildesheim, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, im September 1915 an, Bilder der gefallenen Lehrer in den Schulen anzubringen:„Auch wir begrüßen diese Anregung und halten sie für wohlgeeignet, um die für das Vaterland Gefallenen an der Stätte ihrer früheren Wirksamkeit zu ehren und ihr Gedächtnis in den Herzen der Schuljugend lebendig zu halten.“
Nochmal zurück zum 26. September 1914. An diesem Tag war in der Alfelder Zeitung zu lesen:
— Die Geburtstags-Glückwünsche eines Toten Wie hart der Krieg in das Schicksal des Menschen eingreift, beweist folgende Karte, die an ein in der Kaiser- Wilhelm-Straße hier bedienstetes junges Mädchen gelangt ist. Die Feldpostkarte mit einer Ansicht aus Passy-Grigny ist unterm 14. September wie folgt beschrieben: „Liebes Annchen! Heute ist der Tag, wo Du wieder ein Jahr älter wirst, und es vereinigen sich sehr viele Glückwünsche um Dich. Auch sind wir heute zwei Jahre verlobt.“ Darunter ist mit anderer Handschrift folgendes geschrieben: „Sehr geehrtes Fräulein! Ich bin ein Kamerad von Elze. Vorhin schrieb er noch diese Karte. Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß Elze vor einer halben Stunde den Heldentod fürs Vaterland gestorben ist. Ullrich. Seien Sie stark und ertragen Sie die Mitteilung.“ So ist der Geburtstagsglückwunsch gleichzeitig zum letzten Gruß an die Braut geworden. – Der Verstorbene ist ein auf Desdemona beschäftigt gewesener Bergmann Elze aus Godenau.
Unter dem Datum des 17. Oktober finden wir dann in der Alfelder Zeitung die gemeinsame Traueranzeige der Eltern und der Braut.
Text Günter Jahns, Duinger Archiv