Glückauf in der Welt des weißen Goldes

Osterwalder Fastflitzer absolvieren 12. Kristallmarathon tief unter der Erde Thüringens

Osterwald/Thüringen (gök). Die Liste der Marathonveranstaltungen ist mittlerweile umfassend, fast jede größere Stadt wirbt mit einem Straßenlauf auf der klassischen Laufdistanz von 42,195 Kilometern. Darüber hinaus existieren aber auch sportliche Events, die sich von der Masse unterscheiden und ein hohes Alleinstellungsmerkmal innehaben. Genau solch einen Lauf haben sich die beiden Fastflitzer von den Sportfreunden Osterwald – Timo Hedderich und Eike Dempewolf – nach den winterlichen Trainingsmonaten für eine erste sportliche Standortbestimmung in diesem Jahr ausgesucht. Sie hatten von einer außergewöhnlichen Veranstaltung im westlichen Thüringen gehört, die in dieser Form in Europa einzigartig ist. Die Rede ist vom Kristallmarathon, der im Erlebnisbergwerk Merkers nahe Bad Salzungen in 500 Meter Tiefe stattfindet und dessen diesjährige zwölfte Ausgabe mit knapp 800 Teilnehmern seit Monaten ausgebucht ist.

Das Werk Merkers im Werra-Fulda-Kalirevier galt nach seiner Inbetriebnahme im Jahre 1925 lange als die weltgrößte Kalifabrik. Berühmtheit erlangte die riesige Lagerstätte, als dort gegen Ende des Zweiten Weltkriegs große Teile der Gold- und Devisenbestände der Deutschen Reichsbank und viele wertvolle Kunstschätze eingelagert worden sind. Hartnäckig hielt sich auch das Gerücht, das man dort das legendäre Bernsteinzimmer aus dem Königsberger Schloss (Ostpreussen) finden kann. Das Bergwerk selbst weist ein riesiges Wegenetz von etwa 4.600 km auf und ist damit umfangreicher als das der Großstadt Hamburg. Aus sicherheitstechnischen und logistischen Gründen findet der Lauf aber nur auf einem Bruchteil dessen, nämlich auf einem 3,25 km langen profilierten Rundkurs mit einigen knackigen Steigungen statt. Auf der Marathondistanz mit 13 Runden kommen so insgesamt immerhin 750 Höhenmeter bergauf zusammen.

Schon die Anreise zum Start ist spektakulär. Ein Förderkorb bringt die Läufer, begleitet von erfahrenen Bergleuten, in nur 90 Sekunden bis auf die zweite Sohle in eine Tiefe von über 500 Metern. Dort angekommen, steigen die Läufer, die zur Sicherheit allesamt Fahrradhelme und Stirnlampen tragen müssen, auf speziell umfunktionierte Pritschenwagen um, welche sie in rasanter Fahrt durch dunkle Stollen zum sogenannten Großbunker bringen. Der Hohlraum besticht durch gewaltige Ausmaße von 250 Metern Länge sowie 17 Metern Höhe und beherbergt den weltweit größten unterirdischen Schaufelradbagger. Bis zur Stilllegung des Bergwerks im Jahre 1991 wurden hier annähernd 50.000 Tonnen Rohsalz zwischengelagert, heute dient die Halle als beliebter Veranstaltungsort und Konzertsaal mit einer außerordentlich guten Akustik.

#Der Start des Kristallmarathons wird durch eine stimmungsvolle Musik-Licht-Installation eingeleitet, schon bald aber ist das Laserspektakel im Großbunker vergessen, die Läufer tauchen ein in ein spärlich beleuchtetes Tunnellabyrinth, hinter jeder Kurve verändert sich die Struktur und Farbe der Stollenwände. Nur vereinzelt sieht man die Stirnlampen der anderen Teilnehmer als hüpfende Lichtpunkte, die aber schon bald wieder von der Dunkelheit verschlungen sind. Die Strecke selbst ist durch markante Höhenunterschiede mit Steigungen und Gefällestrecken von bis zu 20 Prozent geprägt. Das ständige Auf- und Ab machte es für die Läufer schwer, den richtigen Laufrhythmus zu finden. Außerdem sorgt die außergewöhnlich warmtrockene Umgebung von mehr als 21°C und weniger als 30 Prozent Luftfeuchtigkeit sowie der permanente Salzstaub in der Luft für einen ordentlichen Flüssigkeits- und Mineralienverlust bei den Sportlern. Hedderich und Dempewolf nutzen im Vorbeilaufen jede Getränkestation, um eine Dehydrierung bei der stundenlangen Anstrengung zu vermeiden.

Bis Kilometer 29, den sie nach gut zweieinhalb Stunden passieren, vermochten die beiden Fastflitzer den Lauf gemeinsam als Team zu bestreiten. Auf dem beim Marathon gefürchteten letzten Drittel haben sich dann ihre Wege getrennt und jeder hat für sich allein eine eigene Laufgeschwindigkeit gefunden und seinen Kampf mit dem inneren Schweinehund bestritten. Gegen Ende des Rennens war das Feld weit auseinander gerissen und die Sportler waren nunmehr fast alleine in den Tunneln – eine Atmosphäre wahrlich nichts für Klaustrophobiker. Jeder Kilometer hat sich gezogen, jeder noch so kleine Anstieg tat nun richtig weh. Dann endlich am Ende eines letzten Gefällabschnitts öffnete sich plötzlich der Schlund und färbte sich grünlich. Ein untrügliches Zeichen, dass die illuminierte große Halle und damit endlich das Ziel des Kristallmarathons erreicht ist. Alle Zieleinläufe werden dort gebührend von den anwesenden Besuchern bejubelt, einige rufen den erschöpften Teilnehmern auch den Bergmannsgruß Glückauf zu.

Eike Dempewolf erzielte mit einer Finisherzeit von 3 Stunden und 54 Minuten einen ausgezeichneten achten Platz in seiner Altersklasse. Timo Hedderich hat mit 4 Stunden und 3 Minuten ebenfalls ein sehr achtbares Marathon-Ergebnis unter Tage errungen.

Angesichts der unwirtlichen Bedingungen zeigten sich beide heimischen Läufer zufrieden mit ihrer Leistung und waren schließlich froh, mit vielen unvergesslichen Eindrücken und müden Beinen wieder zurück aus der Welt des Weißen Goldes, wie Salz auch in früheren Zeiten genannt wurde, ans Tageslicht zu gelangen. Nur das Bernsteinzimmer, das haben auch sie dort unten auch nicht gefunden.