Auf dem Roller ins Abenteuer

Mit 50 Kubikzentimetern nach Italien und zurück

Salzhemmendorf (gök). Rollererfahrung haben die beiden Frauen schon viel. Seit fast zehn Jahren düsen Silke Stenger und Ingrid Renn immer wieder mit ihren Rollern mit 50 Kubikzentimetern und knapp 50 km/h Spitze durch die Gegend. Vor fünf Jahren fingen die beiden Frauen dann aber an, auch längere Touren zu fahren. Die erste Tour führte die beiden Salzhemmendorferinnen über acht Tage bis nach Nord-Bayern. Danach folgten noch weitere Fahrten, wie etwa an die Nordsee, in den Harz oder letztes Jahr nach Berlin. „Schon am Anfang habe ich mich gefragt, ob man mit dem Ding auch über die Alpen kommt“, erklärt Silke Stenger im Gespräch ihre Idee zu einer richtig langen Fahrt. Allerdings waren sich die beiden Frauen einig, dass man dann auch ans Meer will und schnell war die Fahrt an die Adria schließlich beschlossene Sache. Anfang diesen Jahres begannen dann die konkreten Planungen, doch mit Beginn der Corona-Krise war der Plan zunächst gestorben. Die beiden beobachteten die Entwicklungen aber genau und entschieden sich schließlich erst ein paar Tage vor Beginn der Reise im Juli für den wirklichen Start.

Die Hotels und Pensionen für die Touren in Deutschland wurden bereits im Vorfeld gebucht, während die Unterkünfte in Österreich und Italien immer erst einen Tag vorher gebucht wurden. Bei der Tourenplanung profitierten die beiden Rollerfreundinnen von ihren vorherigen Erfahrungen. Täglich wurden Touren zwischen 100 und 150 Kilometern gefahren. „Man denkt zwar, mit einem Roller sollte man mehr schaffen. Doch das Reisen soll auch Spaß machen und wir machten öfter eine Pause etwa für Tankstopps, Toilettengänge, bei Sehenswürdigkeiten, zum Essen oder wenn ich eine rauchen wollte. Eine Fahrt zieht sich dann halt“, erklärte Ingrid Renn mit einem Augenzwinkern. Dabei befuhren die beiden fast immer nur Nebenstraßen, die mit Hilfe von Karten, ADAC-App oder Navi rausgesucht wurden.

Während ihren Tagestouren blieben ihnen vor allem neben den vielen tollen Landschaften die Begegnungen mit den Menschen im Gedächtnis. Am Timmelsjoch – ein Grenzpass zwischen Österreich und Italien – erreichten sie mit knapp 2500 Metern den höchsten Punkt ihrer Tour und trafen auf Motorradfahrer, die die Tour mit den 50er-Rollern und Versicherungskennzeichen über die Alpen bis an die Adria gar nicht glauben konnten. Als sie vorher von Füssen auf die Alpen zufuhren, konnte sich dagegen Renn kaum vorstellen, dass die Roller es überhaupt die Berge hochschaffen. Auch während technischer Probleme in der Nähe des Gardasees lernten sie nette Italiener kennen, die technische Unterstützung gaben und so zumindest die Tagestour retteten. Während des folgenden Reparaturstopps überzeugte dann ein italienischer Freund von Ingrid Renn die Werkstatt in Italien telefonisch, dass der Roller nach einer Reparatur wieder zum Hotel zurückgeliefert wird. „Wir haben sehr viele nette Menschen kennengelernt, die die Fahrt dann auch besonders gemacht haben“, sind sich die beiden einig.

Besonders waren aber auch einige Anekdoten während der Fahrt. Während der Zwangspause etwa haben die beiden Frauen ihre Wäsche in der italienischen Unterkunft gewaschen und im Garten aufgehängt. Am nächsten Morgen wollte Silke Stenger im Pyjama die Wäsche dann abnehmen und wurde vom Rasensprenger überrascht, der nicht nur sie, sondern auch die ganze Wäsche wieder nass machte. In einem Beutel wurde die nasse Wäsche dann im Topcase der Roller verstaut und erst im nächsten Hotelzimmer mühevoll getrocknet. Auch nicht jedes Verkehrsschild wurde ernstgenommen, da man ja das Ziel schnell erreichen wollte. Einmal bog man aber falsch ab und landete mit dem Roller auf einer italienischen Autobahn, was dann auch viele LKW-Fahrer mit Hupen quittierten. Besonders war auch der Moment, als der Schwager von Ingrid Renn extra morgens um 5 Uhr in München mit dem Roller losfuhr, um nach dem Frühstück den beiden Frauen die schönsten Straßen durch das Allgäu zu zeigen. 80 Kilometer begleitete der 75jährige die beiden auf seinem Roller, so dass die Reise zeitweise zu dritt durchgeführt wurde. „Durch die Reise hatten wir viele tolle Begegnungen und haben Dinge gemacht, auf die man sonst nicht kommt“, beschreibt Renn die Faszination ihres Sommerabenteuers.

An der Adria positionierten sich die beiden Frauen dann mit in Günzburg gekauften Roller-T-Shirts vor ihren Rollern und ließen sich von einem Passanten fotografieren. Ziel war dabei Lido degli Estensi an der Adriaküste, welches sich aufgrund der Länge der Tagestour gut erreichen ließ. Den Aufenthalt an der Adria nutzten die beiden dann auch zu einem Abstecher nach Venedig, welches durch die fehlenden Kreuzfahrtschiffe dieses Jahr nur mit wenigen Menschen beim Besuch geteilt werden musste. Noch vor dem Beginn der großen Ferien in Italien wurde dann die Rückreise angetreten, damit man auch in Corona-Zeiten weiter den meisten Menschen aus dem Weg gehen konnte. Möglich wurde die 30tägige Reise über eine Gesamtkilometeranzahl von 3250 Kilometern nur dank dem Umstand, dass Silke Stenger als Lehrerin die Sommerferien nutzten konnte und auch Ingrid Renn beruflich sehr flexibel ist. Auch wenn die beiden Frauen unterwegs sensationelle Landschaften wie die Weinanbaugebiete in Südtirol oder die Reisfelder in der Po-Ebene gesehen haben, war doch besonders die Rückkehr ins Weserbergland ein besonderer Augenblick. Nachdem die Tour über die Alpen bis zur Adria und zurück Silke Stenger ausgesucht hatte, ist nächstes Jahr wieder Ingrid Renn dran. Dachte sie zunächst an eine Tour entlang des Rheins, fürchtet sie dort mittlerweile aber zu viel Trubel. Stattdessen werden die beiden Freundinnen wohl eine Tour durch die Mecklenburger Seenplatte planen. Dank des seit Anfang des Jahres möglichen B196-Führerscheins werden sie dann aber wohl auf 125er-Rollern reisen, wenn auch weiterhin mit sehr langsamer Geschwindigkeit, da man erst mit langsamen Tempo auch die vielen Eindrücke von dem jeweiligen Reiseabenteuer wahrnimmt. Bei den beiden ist schließlich der Weg das Ziel, wo man während der vielen einsamen Momente unter dem Motorradhelm ähnlich wie bei einer Pilgerfahrt völlig zur Ruhe kommt.

 

Foto7399: Der Rolle von Ingrid Renn (links) machte während der Fahrt einmal schlapp, rechts Silke Stenger

Foto05: Die Wasserkaskaden am Lech waren ein besonderer Eindruck auf der Reise

Foto07: Die vollbepackten Roller mit Versicherungskennzeichen fielen auf dem Timmelsjoch auch anderen Motorradfahrern auf

Foto11: Entlang dem Fluss Etsch fuhren die beiden Salzhemmendorferinnen Richtung Gardasee über die Alpen

Foto12: Mit Hilfe von Handy und Karten wurden die Routen ausgearbeitet

Foto19: Nach 13 Tagen auf dem Roller erreichten die beiden die Adria-Küste

Foto24: Die Strecken brachten die Roller oft an ihre Leistungsgrenze

Foto28: Nach 3250 Kilometern und 30 Tagen erreichten die beiden Frauen wieder ihren Heimatort Salzhemmendorf