Über felsige Alpenpfade zum Mont Blanc

Eike Dempewolf bewältigt Ultramarathon durch das Mont Blanc Massiv

Osterwald/Chamonix (gök). Einmal im Jahr ist Chamonix in den französischen Westalpen das Mekka der Trail-Läufer, wenn dort der legendäre Ultra-Trail du Mont Blanc – oder kurz UTMB – stattfindet. 2023 jährte sich das Trailrunning Großevent in Frankreich bereits zum zwanzigsten Mal. Es gibt verschiedene Distanzen durch das höchste Bergmassiv Europas, die in ihren Kategorien jeweils zu den schwersten Bergläufen überhaupt gehören. Der Andrang für die Veranstaltung ist so groß, dass eine normale Anmeldung längst nicht mehr möglich ist. Es gibt ein strenges Auswahlverfahren mit einem System von Qualifikationspunkten und einer abschließenden Lotterie.

Zu Beginn des Jahres hatte der ehemalige Spartenleiter der Osterwalder Fastflitzer und mittlerweile am Deister beheimatete Langstreckenläufer Eike Dempewolf einen der begehrten Startplätze für die 55 Kilometer lange Variante vom schweizerischen Orsiére bis in den weltberühmten Bergort Chamonix ergattert. Damit konnte das persönliche UTMB-Abenteuer zu seinem sportlichen Jahreshöhepunkt beginnen.

Am ersten Septemberwochenende war es endlich so weit, per Shuttlebus wurden die 2000 Läufer nach Orsières im Kanton Wallis gebracht. Den Mont Blanc konnten sie von dem in morgendlichen Sonnenlicht gehüllten schweizerischen Bergdorf aber noch nicht sehen. Aber die umliegenden über 3000 Meter hohen Gipfel, die das Val d’Entremont umrahmen, verkündeten vom Start weg ein großes Bergerlebnis und die bevorstehende Kraftanstrengung.

Die ersten Steigungen wurden absolviert, bald schon passierte der Läufertross den wunderschönen Bergsee Champex-Lac. Nach zwölf Kilometern wurde es ernst, dort begannen die langen alpinen Streckenabschnitte. Oberhalb des kleinen Weilers Plan de l’Au schraubte sich der Steig in die steilen Hänge des Drône-Massivs hinauf. Bei der Passhöhe La Giète (1890 m) oberhalb der Waldgrenze öffnete sich den Läufern ein fantastischer Blick in das Rhone-Tal bei Martigny und den Bergketten diesseits des Genfer Sees. Nun ging es hinunter zur Passstraße Col de la Foclaz und weiter in das Vallée du Trient. Hier, nach mittlerweile 24 Kilometern in den Beinen, galt es erstmal die nötige Verpflegung für den nächsten großen Anstieg aufzunehmen. Nach einem flachwelligen Kilometer am Fluss Trient entlang änderte sich die Strecke schlagartig. In unzähligen, felsigen Serpentinen mühten sich die Läufer zum Col de Balme hoch, einem alten Passübergang, der mit 2203 m den höchsten Punkt der Strecke und gleichzeitig die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz markierte. Oben auf der kargen Scharte angekommen, pfeifte ihnen ein garstiger Wind um die Ohren, beim atemberaubenden Panoramablick auf das Chamonix-Tal und den stark vergletscherten Mont Blanc waren jedoch die Strapazen schnell vergessen.

An der exponierten Berghütte wurde eine kurze Rast eingelegt, dann folgte der lange Abstieg hinunter in das bekannte Bergsteigerdorf Argentière am Fuß der eisigen Aiguille Verte (4122 m). Dempewolf hielt einen Moment an der dortigen Verpflegungsstation inne und schaute hinauf zur himmelragenden Aiguille du Dru (3754 m) mit ihrer 1100 m hohen abweisenden Westwand. „Die volle Marathondistanz hatte ich mittlerweile absolviert und meine Reserven waren fast aufgebraucht“, gab Dempewolf im Gespräch zu. Ein Schild kündigte einen weiteren Anstieg von 650 Höhenmetern zur Aussichtskanzel La Flégère (1877 m) an. Schnell wurde noch ein Energieriegel vertilgt, ehe es auf einen steinigen Pfad ging, der sich mit bis zu 30 Prozent Steigung durch den Bergwald und im weiteren Verlauf über eine Skipiste emporschraubte. Die Läufer kämpften sich schweigend die schweren fünf Kilometer des letzten Anstieges empor. Oben angekommen, blickten sie bei der Seilbahnstation Flégère auf das abendliche Lichtermeer von Chamonix herunter. Schnell wurden die Stirnlampen aufgesetzt, dann tauchte Dempewolf in die Dunkelheit des Bergwaldes hinein und mühte sich den steilen Stieg 900 Höhenmeter hinab ins Vallee Chamonix. Wiederholt wurden die Knie auf dieser letzten berüchtigten Passage arg beansprucht. „Bloß nicht stürzen“, ging mir immer wieder durch den Kopf. Endlich tauchten die ersten Straßenlaternen von Chamonix auf, auf dem letzten Kilometer entlang des Flusses Arve hörten die Läufer bereits den Jubel der zahlreichen Zuschauer, bevor sie endlich in die stimmungsvolle Innenstadt einliefen. Eine letzte Kurve, dann tauchte der bei den Teilnehmern so ersehnte blaue Torbogen auf. Es war geschafft, nach 55 Kilometern mit mehr als 3500 Steigungsmetern bergauf erreicht Dempewolf nach gut zwölfeinhalb Stunden das Ziel unterhalb des 4 810 Meter hohen Mont Blanc. Der höchste Berg der Alpen und seine vergletscherten Trabanten hatten Eike Dempewolf ein unvergessliches Laufabenteuer in einer atemberaubenden Landschaft beschert.

 

Foto1: Immer wieder konnte Eike Dempewolf ein tolles Bergpanorama genießen

Foto2: Im Zieleinlauf herrschte eine tolle Atmosphäre, die Dempewolf sehr genoss

Foto3-5: Die Trailstrecken rund um den Mont Blanc sorgten bei den Teilnehmern für Begeisterung